Abel und Dynni sind zwei Isländer-Wallache mit denen ich gelegentlich arbeiten darf. Sie haben mir kürzlich wieder einmal bewusst gemacht, wie unsere Erwartungen an Pferde den Trainingserfolg beeinflussen können.

Sowohl Dynni (links im Bild) als auch Abel (rechts im Bild) sind beide fortgeschritten in der Bodenarbeit. Abel hat sich aber immer besonders kooperativ gezeigt. Er ist daher auch schon länger Professor in meiner Online-Schule. Als ich mit ihm mit Freiarbeit begonnen habe, stellte er sich ziemlich gut an. Vielleicht nicht ganz so gut, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber immerhin.

Bei Dynni hatte ich eine weniger hohe Erwartungshaltung. Er zeigte aber besondere Freude an der Freiarbeit und bot viele Dinge von selbst an. Schnell machte er große Fortschritte und hängte Abel im Niveau ab. Ich hatte nicht damit gerechnet und freute mich über jede Kleinigkeit, die er anbot. Aus den vielen Kleinigkeiten bauten wir ein schönes, großes Ganzes. Das fühlte sich einfach toll an!

Bald begann ich mich schon vor dem Training auf das tolle Gefühl mit ihm zu freuen. Ich begann vorauszusetzten, dass wieder alles so wunderbar wie die letzten Male sein würde. Aber als wir dann begannen, liefe es nicht mehr so rund. „Naja, es kann ja auch nicht immer bergauf gehen …“, dachte ich und wartete darauf, dass sich das tolle Gefühl in der nächsten Trainingseinheit wieder einstellen würde. Aber leider hielt mich meine Erwartungshaltung auch in den nächsten Einheiten vom Erfolg ab. Beim Versuch, die Verbindung zu reproduzieren, die wir in der Vergangenheit hatten, entging mir, was heute passierte. Ich war nicht mehr offen, kleine Versuche seinerseits zu sehen, sondern erwartete das große Ganze in der gleichen Qualität wie in der Vergangenheit zu erhalten. Ich war nicht mehr im Hier und Jetzt bei Dynni. Und so verflog der Zauber …

An Abel hatte ich an denselben Tagen keine großen Erwartungen. Ich wusste ja, dass er seine Sache im Großen und Ganzen gut macht und die Fortschritte langsam kommen würden. Ich nahm ihn unbewusst also an jedem Tag an, wie er gerade drauf war und machte das Beste daraus. Ich stimmte meine Hilfengebung auf seinen jeweiligen Zustand ab, ohne einem Gefühl aus der Vergangenheit nachzujagen. Dabei entging mir nicht, wenn er sich bemühte. Und so zeigte Abel dann auch sein Bestes! Bald war die Arbeit mit ihm richtig cool und machte viel Spaß. Davon gibt es ein Video, das ich kürzlich auf Social-Media veröffentlicht habe.

Zu diesem Zeitpunkt begann ich endlich zu realisieren, dass ich mir mit Dynni selbst im Weg stand – genau das, was ich anderen Menschen oft versuche aufzuzeigen. Auch wenn man die „Erwartungsfalle“ gut kennt, ist man im eigenen Tun aber manchmal „betriebsblind“.

Als endlich die Einsicht dämmerte, begann ich es mit Dynni wieder langsamer anzugehen. Ich startete damit, ihn nur zu bewegen, statt ihn zu trainieren. Dabei versuchte ich mich in ihn hineinzuspüren und Kleinigkeiten zu belohnen. Ich begann meine Energie wieder auf seine abzustimmen, statt nach einem Gefühl aus der Vergangenheit zu suchen. Ich ließ Dynni wieder Dynni sein.

Und dreimal dürft ihr raten … Dynni zeigte sich wieder von seiner besten Seite. Oder besser gesagt, von einer noch besseren, als ich sie schon kannte. Denn als ich endlich wieder offen für ihn war, konnte er sich noch weiter entfalten.

Ich hab mich so gefreut und mir gedacht, das muss ich euch erzählen! Vielleicht steckt der eine oder die andere ja gerade auch in einer solchen Falle fest, ohne sich ihrer bewusst zu sein?

Florian Oberparleiter
Juli 2023

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit ProPferd.at – Österreichs unabhängigem Pferde-Portal.