Kommunikation mit Pferden passiert im Moment. Ob der Mensch mit seinen Gedanken und Gefühlen dabei im Hier und Jetzt ist, spielt eine entscheidende Rolle. Warum aber ist das so? Was genau passiert, wenn wir nicht präsent sind? Welche Möglichkeiten gibt es, sich besser auf den Moment einzulassen? Und kann man es mit der Präsenz auch übertreiben?

Unterschiedliche Tendenzen von Pferd und Mensch

Menschen habe die wunderbare Fähigkeit, sowohl über die Vergangenheit als auch über die Zukunft nachzudenken. Somit sind wir in der Lage in Erinnerungen zu schwelgen und unsere Zukunft zu planen. Dabei kann es passieren, dass wir auf das Hier und Jetzt vergessen. Das geht so weit, dass wir manchmal nicht mehr in der Lage sind, uns auf den Moment einzulassen.

Für Pferde hingegen ist das Hier und Jetzt das Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie leben jeden Moment in voller Intensität. Dabei werden frühere Erfahrungen zwar genutzt, um Geschehnisse und Dinge einzuordnen, der Fokus liegt aber auf dem Augenblick.

Ich erlebe diese unterschiedlichen Tendenzen in Pferd und Mensch als Ursache für viele Missverständnisse im Umgang zwischen den beiden Spezies.

Was passiert, wenn wir nicht präsent sind

Pferde sind auf nonverbale Kommunikation angewiesen. Wollen wir mit ihnen kommunizieren, müssen wir uns unserer eigenen Körpersprache bewusst sein. Sind wir in unseren Gedanken nicht im Hier und Jetzt, laufen wir Gefahr Signale auszusenden, derer wir uns nicht bewusst sind.

Wenn unsere Gedanken beispielsweise um etwas kreisen, das uns nervt oder stresst, drückt dies auch unser Körper aus. Auch wenn die Ursache unserer negativen Gedanken fernab der aktuellen Situation liegen, nimmt sie das Pferd in diesem Moment wahr.

Neben dem Senden von Signalen betrifft nicht vorhandene Präsenz auch das Empfangen solcher. Denn Pferde selbst senden sehr subtile Signale, die von uns wahrgenommen werden wollen. Sind wir in unseren Gedanken woanders, werden uns feine Anbahnungen des Pferdes entgehen.

Auch unser Timing leidet, wenn wir nicht präsent sind. Denn selbst wenn wir unseren Körperausdruck kontrollieren und jenen des Pferdes im Auge behalten würden, wird sich unsere Reaktionszeit erhöhen, wenn wir nicht bei der Sache sind. Um ein Pferd erfolgreich zu trainieren, braucht es aber punktgenaue Reaktionen auf sein Verhalten und Signale.

Nach der Arbeit zum Pferd

Pferde werden oft als Entspannungsfaktor gesehen. So wird der Besuch beim Pferd nach einem stressigen Arbeitstag von vielen sehnlichst erwartet. Im Stall angekommen ist unser Geist noch mit den Dingen beschäftigt, die uns heute passiert sind, uns geärgert oder gestresst haben. Vielleicht sind wir aber auch schon beim morgigen Arbeitstag: was wir da zu tun haben, was heute liegen geblieben ist und morgen erledigt werden muss.

In solch einer Verfassung sein Pferd zu trainieren ist nicht immer die beste Entscheidung. Denn Pferdetraining erfordert sowohl Präsenz als auch Geduld und Einfühlungsvermögen – alles Dinge, an denen es fehlt, wenn wir uns in schwachem Gemütszustand befinden. Dies ist leider auf vielen Reitplätzen dieser Welt ab spätem Nachmittag täglich zu beobachten …

Einfach Zeit mit dem Pferd zu verbringen, statt es trainieren zu wollen, ist da eine mögliche Lösung. Ich habe mir daher vor gut zehn Jahren angewöhnt, dass ich in solch einer Verfassung mit dem Pferd spazieren gehe oder es grasen lasse. Dabei fordere ich nichts und erwarte nichts. Ich versuche das Pferd zu fühlen und lasse meinen Gedanken zur Ruhe kommen.

Statt meinen Gemütszustand aufs Pferd zu übertragen, versuche ich jenen des Pferdes auf mich zu übertragen. Erst wenn es mir gelingt die Verbindung zum Pferd und somit mich selbst wieder zu spüren, ziehe ich das Training in Erwägung. Manchmal starte ich dann eine Trainingseinheit, manchmal auch nicht. Mit dieser Strategie habe ich meinen Pferden und mir viel Frustration erspart.

Das richtige Maß finden

Immer wieder treffe ich Menschen, die das Gebot zur Präsenz jedoch zu ernst nehmen. Da ist dann eine Meditation im Rahmen des Pferdebesuches unumgänglich. Da wird jedes unerwünschte Verhalten des Pferdes auf sich bezogen. Da muss man zuerst in seine Mitte kommen, bevor man mit dem Pferd interagiert.

Hier ist für mich das gesunde Maß verloren gegangen. Denn um eine gute Horsewoman oder ein guter Horseman zu sein, müssen wir nicht perfekt sein. Ein bisschen Unaufmerksamkeit, ein bisschen Gedanken schweifen, ein bisschen Mensch sein, ist dem Pferd in meinen Augen schon zumutbar. Die Grundlagen im Training sollten auch funktionieren, wenn wir nicht im perfekt ausgeglichenen, mentalen Zustand sind!

Streben wir aber nach einem langfristigen, harmonischen Miteinander, müssen wir so gut es geht Vergangenheit und Zukunft hintanstellen und in den Moment eintauchen. Je feiner wir werden wollen, umso wichtiger wird das. Wollen wir nach den Sternen greifen und ganz besondere Momente mit unseren Pferden erleben, wird unsere Präsenz unumgänglich.

Eine einfache Übung, um sich auf den Moment einzulassen

Die Bewegungen der Pferdebeine unter dem Sattel zu differenzieren, ist eine einfach Möglichkeit, um ins Hier und Jetzt zu kommen. Dabei konzentriert man sich beim Reiten jeweils auf ein Pferdebein und versucht zu erspüren, wann genau es auf- oder abfußt. Kommentiert man laut mit („Jetzt fußt das rechte Hinterbein ab, jetzt, jetzt, jetzt, …“) kann ein Helfer vom Boden aus unsere Angaben überprüfen und Feedback geben.

Diese Übung schult grundsätzlich unsere reiterlichen Fähigkeiten (exzellente Reiter wissen genau, wo welches Bein ist). Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass sie den Menschen eine große Hilfe dabei sein kann, ihre Gedanken und Gefühle auf den Moment zu lenken. Das körperliche Fühlen (Wie fühlt sich die Bewegung an?) stellt eine Tür ins Hier und Jetzt dar. Nützen wir sie, sind wir einem harmonischen Miteinander einen Schritt näher gekommen.

Florian Oberparleiter
Januar 2023

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit ProPferd.at – Österreichs unabhängigem Pferde-Portal.